Fachartikel: Variantenkonfiguration digitalisiert die Fertigung
Die Fertigungsindustrie muss immer detaillierter auf Kundenwünsche eingehen. Produktvarianten sind daher heute wie in der Automobilindustrie ein Muss. Wollen Fertigungsbetriebe im Wettbewerb bestehen, müssen sie bei immer kleineren Losgrößen aber auch ihre Kosten in den Griff bekommen. Mit Enterprise Resource Planning (ERP) in einer Cloud-Anwendung lassen sich Vertrieb, Fertigungsplanung und Produktion bis zur Faktura in einer digitalen Prozesskette verbinden. Die Variantenkonfiguration macht’s möglich.
Seit über 30 Jahren erhält sich die deutsche Fertigungsindustrie ihre Wettbewerbsfähigkeit. Durch ihre Innovationsfähigkeit, ständige Anpassungsbereitschaft sowie Kundenorientierung konnte sie sogar häufig ihre höheren Preise durchsetzen. Gleichzeitig setzte sie auf Automatisierung und die Neugestaltung ihrer Fertigungs- und Geschäftsprozesse.
Viele Betrieben legten die Grundlage dafür indem sie Enterprise-Resource-Planning(ERP)-Systeme einführten. Der zunehmende Preisdruck, Wettbewerber aus Asien und kundenindividuelle Anforderungen an die Produkte brauchen nun aber neue Antworten der überwiegend von kleinen und mittelgroßen Unternehmen geprägten Branche. Die Fertigungsprozesse müssen heute noch flexibler gestaltet werden, um auch kleine Losgrößen zu wettbewerbsfähigen Preisen anbieten zu können. Ähnlich wie in der Automobilindustrie erwarten Kunden von einem Produkt, es nach ihren Anforderungen variieren und konfigurieren zu können.
Ein Kunde wünscht bestimmte Materialien, ein anderer bestimmte Bohrungen respektive Maße für Verbindungen oder schlicht eine andere Farbe für das Firmenlogo. Manche Fertigungsunternehmen müssen für jede Produktvariante ihre Produktionsplanung anpassen. Das alles verursacht Kosten, die die Fertiger nicht immer an ihre Kunden durchreichen können. Mit einer innovativen Cloud-ERP-Lösung wie SAP S/4HANA gelingt es Fertigern, durchgängig digitale Wertschöpfungsketten zu realisieren, die eine Variantenkonfiguration kostengünstig und effektiv ermöglichen.
Fachbereichsübergreifende Variantenkonfiguration
Die großen Vorteile einer ERP-Lösung aus der Cloud sind ihre einfache Skalierbarkeit, die Vernetzung unterschiedlicher und teils auch stationärer IT-Systeme, die schnelle Implementierung neuer Anwendungen sowie ein geräte-, zeit- und ortsunabhängiger Zugriff auf geografisch verteilte IT-Ressourcen. Über S/4HANA ist es möglich, Vertrieb, Entwicklungsabteilung und Produktionsplanung bis auf die Ebene von Produktionsaufträgen einzelner im ERP vernetzter Maschinen zu verbinden.
In dieser nahtlos digitalen Prozesskette wird es möglich, ganz ähnlich wie in der Automobilindustrie eine Variantenkonfiguration für nahezu alle Produkte zu realisieren. Voraussetzung ist dabei allerdings, dass im ERP die Merkmale der denkbaren Produktvariationen hinterlegt sind, die über das System angeboten werden können. So ist es möglich, dass der Kunde die Varianten im Onlineshop auswählt und das Produkt nach dieser Spezifikation produziert wird. Allerdings ist es bei erklärungsbedürftigen und komplexen Produkten nicht immer sinnvoll, den Kunden selbst die Konfiguration vornehmen zu lassen.
Häufig muss über das System auch zunächst mit den Fachabteilungen geklärt werden, ob die Kundenwünsche überhaupt umsetzbar sind und – fast noch wichtiger – wie sich diese auf den Preis niederschlagen. Deswegen spielt der Vertrieb auch weiterhin eine große Rolle. Oftmals müssen Aufwände ermittelt, Materialkosten berechnet und die Folgen für die Logistik in die Preise einkalkuliert werden.
Der Vorteil einer nahtlos digitalen Prozesskette ist aber, dass mit der Kundenanfrage und den Einträgen des Vertriebs in einen Variantenkonfigurator sofort alle Fachabteilungen Bescheid wissen. So können sie dann unmittelbar mit der Planung anfangen, ihre Aufwände kalkulieren und in das System zurückspielen. Am Ende erfährt der Vertriebsmitarbeiter den Preis und den möglichen Liefertermin.
Aufmaß vor Ort – Datenfluss direkt in die Fertigungsplanung
Wie das funktioniert, lässt sich am Beispiel eines Küchen- und Möbelherstellers sowie eines Innenausstatters für Boote und Campingbusse demonstrieren. Gemeinsam ist solchen überwiegend mittelständisch geprägten Unternehmen, dass sie eine hoch spezialisierte Fertigung anbieten, bei der zudem jeder Kunde seine individuellen Spezifikationen wünscht. Der Vertrieb des Küchenbauers nimmt vor Ort das Aufmaß, bestimmt die einzelnen Schrank-, Tür- und Schubladenformate, wählt die Elektroeinbaugeräte und fragt beim Kunden die Oberflächenmaterialien und gegebenenfalls Farben ab.
Auch der Innenausstatter nimmt Aufmaß der Sitzmöbel, Bänke, Schränke sowie Wand- und Bodenflächen, wählt zwischen Materialien, Farben und Verarbeitungsarten für Polster, Wanddekoration, Oberflächen und Bodenbeläge. Über die Cloud-ERP-Lösung wählt er über die Kundenauftragserfassung des Variantenkonfigurators die konfigurierbaren Merkmale noch vor Ort beim Kunden aus und kann direkt im Anschluss einen Preis ermitteln. Sind Sonderformate oder nicht hinterlegte Materialien gewünscht, erhält die Entwicklerabteilung oder direkt die Produktionsplanung den Auftrag aus dem System, den Kundenwunsch zu prüfen und neben der Machbarkeit auch die preisrelevanten Zusatzkosten zu ermitteln.
Es kann aber auch vorkommen, dass eine vom Kunden gewünschte Konfiguration nicht realisierbar ist, weil keine technische Lösung vorhanden ist, sich die Kundenwünsche widersprechen oder weil aus Marketinggründen bestimmte Kombinationen ausgeschlossen werden sollen. Der Variantenkonfigurator überprüft also bereits bei der Eingabe, ob sich der Auftrag entlang den vorgegebenen Regeln realisieren lässt. Eine nicht zulässige oder unmögliche Konfiguration wird also bereits im System ausgeschlossen oder zur Prüfung an die Entwickler übermittelt. Ist der Auftrag durch den Kunden erteilt, wird ein Fertigungsauftrag erstellt und die Fertigungsplanung kann beginnen. Dafür muss zunächst mit der Materialbedarfsplanung geprüft werden, ob alle notwendigen Materialien und Komponenten auf Lager sind oder zunächst bestellt werden müssen.
Nach dieser Prüfung und Kommissionierung der Materialien wird im System eruiert, bis wann der Auftrag gefertigt und ausgeliefert werden kann. Anschließend wird der Fertigungsauftrag erteilt und in die Fertigung mitsamt der Variantenkonfiguration übermittelt. Die Fertigungsabteilung kann nun mit den vor Ort genommenen Aufmaßen mit der Herstellung beginnen. Sind alle Komponenten produziert, werden per S/4HANA die Fertigstellung und Bereitstellung im Warenausgangslager gemeldet.
Nahtloser Prozess in der Variantenkonfiguration
In diesen nahtlos digitalen Prozess sind alle Akteure so eingebunden, dass sie in ihren Dashboards von SAP S/4HANA sehen, wenn eine Handlung von ihnen gefordert ist. Liegt eine fertig produzierte Küche oder Innenausstattung im Warenausgangslager, so wird dies automatisch dem Vertriebsmitarbeiter gemeldet, der nun mit seinem Kunden den Einbautermin abstimmen kann. Je nach Effizienz der gesamten Produktionsplanung lässt sich der mögliche Liefertermin auch schon vor Produktionsbeginn, beispielsweise nach der erfolgreichen Materialbeschaffung, vereinbaren.
Für die Terminierung greift der Vertrieb auf die freien Kapazitäten der Logistiker und der Montageabteilung zurück. Je nachdem, ob Erfahrungswerte für den Montageaufwand hinterlegt sind, kann er die Einsatzzeit exakt planen und die Montageteams nahtlos zum nächsten Einsatzort disponieren. So koordiniert er Anlieferung und Montage just in time und in Absprache mit einem Kunden. Parallel sind auch alle Daten für die Buchhaltung eingeflossen, die während der Montage eine Rechnung erstellen und aussenden kann.
Fazit: Losgröße 1 zu den Kosten der Massenfertigung
Wird SAP S/4HANA Cloud eingesetzt, ist die Variantenkonfiguration für praktisch alle Produktions- und Fertigungsunternehmen realisierbar. So kann ein Maschinenbauer die von seinen Kunden gewünschten Werkzeuge seiner Maschinen oder die Tragkraft seiner Bearbeitungszentren variabel gestalten oder ein Komponentenhersteller seinen Kunden einen Konfigurator bereitstellen, damit er seine Produkte variieren kann.
Der Variantenkonfigurator in S/4HANA ermöglicht bis zur Losgröße 1 eine Vielfalt an Produktvariationen, die zu den Kosten der Massenfertigung realisiert werden können. Damit demokratisiert SAP Produktionsbedingungen für den Mittelstand, die früher großindustriellen Konzernen vorbehalten waren.